Das Gebiet der Parodontologie umfasst die Gesunderhaltung der Stützgewebe des Zahnes und die Beherrschung der ätiologischen Faktoren, insbesondere der bakteriellen Plaque. Sie beinhaltet außerdem die Behandlung von Entzündungen (Gingivitis) und Läsionen der Stützgewebe (Parodontitis) sowie die Langzeitbetreuung der Patienten zum Zweck der Verhütung von Reinfektionen. Parodontale Erkrankungen stellen eine Gruppe von oralen opportunistischen Infektionen dar, deren Auswirkungen sich vorwiegend lokal als Entzündung (Gingivitis) oder aber im Zahnhalteapparat manifestieren können. In letztem Fall geht vor allem der parodontale Faserapparat und - bei fortgeschrittenen Formen - auch alveolärer Stützknochen verloren. Dies kann zur Lockerung und/oder zu Migrationen der Zähne führen, sodass ihre Funktion infrage gestellt ist. Außer der Gingivitis ist die weitaus häufigste Form der Erkrankung die Erwachsenenparodontitis (Adulte Parodontitis, AP). Seltenere Formen sind die früh einsetzenden Parodontopathien (Early onset periodontitis, EOP), deren Hauptvertreter die Juvenile Parodontitis (JP) darstellt und die nekrotisierende Parodontitis (NP), deren Auftreten meist mit einer Immunschwäche einhergeht. Schließlich sind Parodontopathien, welche als Manifestationen systemischer Erkrankungen (z. B. Leukämien) auftreten, zu erwähnen.
Während die Gingivitis in verschiedenen Schweregraden 60 Prozent – 90 Prozent der Schweizer Bevölkerung betrifft, erkranken ungefähr 30 Prozent – 40 Prozent, vornehmlich im mittleren und höheren Lebensabschnitt, an der AP. Fortgeschrittene Formen mit ernsthafter Gefährdung der Dentition befallen ungefähr 5 Prozent – 7 Prozent. Die JP ist in der Schweiz etwa bei jedem tausendsten Jugendlichen beim Erreichen der Volljährigkeit (18 Jahre) diagnostizierbar.
Da der Übergang von der lokalen Läsion der Gingivitis zu der die Stützgewebe auflösenden Parodontitis fließend und kaum voraussagbar ist, beinhaltet die Prävention der Zahnhalteapparatserkrankungen die Verhinderung der Gingivitis. Obwohl heute verschiedene systemische und genetische Modifikatoren für die Entstehung und das Ausmaß der Parodontitis diskutiert werden, wird allgemein die Präsenz von Bakterien als unabdingbarer, auslösender Faktor anerkannt. Prävention der Parodontopathien bedeutet deshalb Beherrschung der Plaquesituation.
Die parodontale Behandlung ist dann angezeigt, wenn die Gewebe Entzündungssymptome zeigen. Sie soll vor allem kausal erfolgen, d. h. die bakterielle Plaque und deren Retentionsstellen sind vollständig zu entfernen. Diese Kausaltherapie, welche saubere Mundhygieneverhältnisse herstellen soll, umfasst nicht nur die Leistungen des Therapeuten, sondern auch ganz essenziell die Mitarbeit des Patienten. Jene ist oft hinreichend, um die Gesundung der parodontalen Gewebe einzuleiten. In fortgeschrittenen Fällen dagegen werden zusätzliche Maßnahmen, insbesondere chirurgische Eingriffe, notwendig. Die regelmäßige und vollständige Entfernung der Plaque durch den Patienten ist ein integrierter Bestandteil der Parodontaltherapie. Sie ist eine Bedingung für den Behandlungserfolg und eine gute Langzeitprognose. Die professionelle Unterstützung der Patienten durch gute Zahnärzte, Dentalhygienikerinnen und Prophylaxepersonal ist essenziell.
Diagnostik
Die Parodontitis ist eine Infektion, die folgende Gewebe betrifft: die Gingiva, das Wurzelzement, das Desmodont und den Alveolarknochen. Die visuelle Untersuchung wird normalerweise durch eine radiologische ergänzt. Dabei ist festzuhalten, dass die Untersuchung der Sondierungswerte und des Attachmentniveaus empfindliche und verlässliche Parameter für die Diagnostik darstellen, währenddem die radiologische Beurteilung des Knochenniveaus lediglich verifizierenden Charakter hat. Die Aufnahme eines Parodontalstatus erfolgt mittels einer graduierten, wenn möglich kraftkalibrierten Sonde. An 6-8 (Molaren) Stellen pro Zahn erfolgt die Messung der Sondierungswerte. Außerdem wird der Befall sämtlicher Furkationen aufgezeichnet. Diese Dokumentationen sind die Voraussetzungen für die Behandlungsplanung und die wiederholte Beurteilung des Parodontalzustandes nach abgeschlossener Therapie. Ein Fehlen der Entzündung widerspiegelt weitgehend die Gesundheit des Parodonts. Aus diesem Grund ist die wiederholte Aufnahme des Blutens auf Sondieren (Bleeding on Probing, BOP) ein wesentlicher Bestandteil der laufenden Beurteilung des Behandlungserfolgs. Tests zur Erfassung der mikrobiellen Zusammensetzung einzelner parodontaler Läsionen oder zur Erfassung der Wirtsantwort vermitteln in gewissen Fällen willkommene Zusatzinformationen. Es ist allerdings zu bemerken, dass bis heute noch keine Tests vorhanden sind, die vor dem Erscheinen der klinischen Symptome das Entstehen der Parodontalerkrankung voraussagen könnten. Auch sind der Zeitpunkt oder die Umstände schwierig zu definieren, welche den Übergang der marginalen Entzündung (Gingivitis) zur Zerstörung des Zahnhalteapparats (Parodontitis) markieren.
Nicht chirurgische Behandlung
Da Parodontitis von Bakterien verursacht wird, besteht das wichtigste Element der ursachenbezogenen Parodontaltherapie in der Entfernung dieser Bakterien. Die mechanische Entfernung bakterieller Beläge reduziert die Entzündung bei allen Formen der Parodontitis. Eine Straffung der Parodontalgewebe führt dazu, dass eine Parodontalsonde bei gegebener Kraft zwischen Zahn und Weichgewebe weniger weit eindringen kann. Dies wird vom Kliniker als Attachmentgewinn und Taschenreduktion interpretiert.
Die gründliche mechanische Depuration aller bakteriell kontaminierten Zahnoberflächen und eine gute Mundhygiene sind die entscheidenden Faktoren für den Erfolg der Parodontalbehandlung, unabhängig davon, ob chirurgisch oder nicht-chirurgisch behandelt wird.
Vollständige Entfernung aller bakterieller Ablagerungen ist schwierig in gewissen morphologischen Gegebenheiten (Furkationen und in Wurzelkonkavitäten) und in tiefen Taschen. In diesen Situationen kann ein chirurgisches Vorgehen indiziert sein. Eine leichte bis mittlere Parodontitis wird in den meisten Fällen ohne chirurgische Eingriffe behandelt werden können.
Chirurgische Eingriffe
Die chirurgische Intervention erfolgt falls, nach gründlichem Bearbeiten der Wurzeloberflächen (Hygienephase), noch aktive Resttaschen zu verzeichnen sind, wobei eine befriedigende Mundhygiene der Patienten vorausgesetzt wird.
Die chirurgische Therapie umfasst folgende Ziele:
- Zugang zur Wurzeloberfläche schaffen, um diese unter direkter Sicht zu bearbeiten (Scaling & Root planing)
- Reduktion der Taschensondierungswerte.
- In speziellen Fällen: Korrektur der Weichgewebs- und Knochenmorphologie, um eine adäquate Mundhygiene und prothetische Massnahmen zu erleichtern (z.B. chirurgische Verlängerung der klinischen Krone)
- In besonderen Fällen: Ermöglichung regenerativer Verfahren zur Neugewinnung von Attachment (Furkationsdefekte, anguläre Defekte, Rezessionsdeckung). Die kritische Auswahl der Patienten für diese anspruchsvollen Ziele ist nicht zu unterschätzen.
- Als Indikation für chirurgische Therapie gelten:
- Resttaschen mit Sondierungswerten PPD = 5mm und Bluten auf Sondieren (BOP positiv) oder Eitersekretion (Pusaustritt).
- Ungünstige Wurzelanatomie für die Durchführung individuell optimaler Mundhygiene.
- Bedingungen für den Behandlungserfolg sind:
- Erfolgreich abgeschlossene Hygienephase: d.h. gute Patientenmitarbeit veranschaulicht durch wesentliche Reduktion des Plaquebefalls und/oder Veränderung des Plaqueverteilungsmusters.
- Beachtung der allgemeingültigen Regeln für chirurgische Eingriffe (allgemeinmedizinische Kontraindikationen, Antisepsis, atraumatische Vorgehen etc.).
- Günstige morphologische Gegebenheiten der Zahnwurzeln und der Knochendefekte.
- Etabliertes, individuell angepasstes Betreuungssystem.
Behandlungsergebnisse
Bei Abschluss sowohl der nicht-chirurgischen wie auch der chirurgischen Behandlung sollten folgende Ziele erreicht sein:
- Substantielle Plaquereduktion.
- Kein Eiterfluss aus dem Sulcus.
- Gesunde Gingiva, wesentliche Reduktion des Blutens auf Sondieren.
- Reduktion der Sondierungstiefen und des BOP. Keine Taschen = 5mm bei einwurzligen Zähnen, höchstens vereinzelt Sondierungstiefen von = 5mm im ü brigen Gebiss.
- Keine harten Konkremente auf der Wurzeloberfläche.
- Elimination von Hindernissen für die Plaqueentfernung (Füllungs- und Kronenrandüberschüsse, Schmelzperlen).
- Keine fortschreitende Zahnbeweglichkeit.
- Gesicherte Mitarbeit des Patienten und Beteiligung am Recall.
Posttherapeutische Betreuung
Der Langzeiterfolg einer Parodontalbehandlung hängt weniger von der Modalität der Erstbehandlung als von der posttherapeutische Betreuung mit Recallsystem ab. Das Ziel dieser Betreuung ist:
Erhaltung der oralen Gesundheit, d.h. Erhalt der Integrität der parodontalen Gewebe und der Zähne durch:
- Verhütung und Bekämpfung von Neuinfektionen (auch Karies)
- Verhütung und Bekämpfung von Reinfektionen inaktiver Resttaschen.
Das Recallsystem erfordert in der Praxis eine spezielle Organisation, die nur mit Hilfskräften effizient realisiert werden kann. Es ermöglicht das regelmässige Wiedereinbestellen behandelter Patienten. Recallsitzungen finden je nach Risiko alle 3 bis 12 Monate statt und beinhalten:
- Neuerhebung der notwendigen Befunde
- Neuinformation und Motivation des Patienten
- Plaque- und Zahnsteinentfernung
- Notwendige Therapie bei Re- und Neuinfektionen
- Applikation lokaler Medikamente
- Festlegen des nächsten Recallbesuches je nach Risiko des Patienten.
Qualitätsleitlinien
Die Qualitätssicherung in der parodontalen Betreuung umfasst vier Behandlungsabschnitte, nach deren Durchlauf der Behandler seine erbrachte Leistung und das erreichte Resultat beurteilen kann. Insbesondere dient eine solche Reevaluation zur eventuellen Wahl weiterer therapeutischen Schritte. Die vier beurteilbaren Abschnitte sind: die Diagnostik, die nicht- chirurgische Therapie, die chirurgische Therapie sowie die posttherapeutische Betreuung. Dabei ist die Beurteilung der Patientenmitarbeit als fünfter Qualitätsaspekt von ausschlaggebender Bedeutung. So versteht es sich, dass bei einem Patienen mit der Qualitätssleitlinie C für Mitarbeit kaum für alle Behandlungsabschnitte eine Leilinie A oder gar A+ erreicht werden kann. Die erfolgreiche Parodontalbetreuung ist auf die Mitarbeit des Patienten angewiesen. Der sechste Aspekt der Qualitätssleitlinien gibt die Standards für den parodontalen Zustand des Gebisses an. Dies entspricht gleichsam der Beschreibung eines Behandlungsziels, welches mit einer erfolgreichen Behandlung angestrebt werden könnte. Deshalb ist die Beschreibung der Gewebe in Relation zur Beurteilung der erbrachten Leistungen nach den einzelnen beurteilbaren Behandlungsabschnitten zu setzen, wobei die Patientenmitarbeit mitberücksichtigt werden soll.
Die Parodontalbetreuung wird demnach nicht mit einem einzigen Set an Beurteilungskriterien beurteilt, sondern phasenweise jeweils mit eins bis drei Qualitätsaspekten. Sollte die parodontale Betreuung zusätzlich zu einer anderen zahnmedizinischen Versorgung treten, so müssen die Qualitätskriterien der übrigen Behandlung zur Anwendung kommen.
Die Qualitätssicherung und die damit verbundene Beurteilung verschiedener Umstände und Behandlungsabschnitte erlaubt es dem Praktiker, sich anhand von wissenschaftlich erarbeiteten Kriterien zu orientieren. Diese basieren auf den Analysen aus drei Europäischen und einem World-Workshop, die die Klinische Forschung der letzten zwei bis drei Dezennien kritisch beurteilen.